Mental Health in Gaming: Eskapismus kann gerade in schweren Zeiten auch eine Hilfe sein – Julian Laschewski, Spieletester und Autor – Mental Health in Gaming
Anlässlich des Mental Health Awareness Monats rückt Xbox das mentale Wohlbefinden der Gaming-Community in den Fokus. Zwar ist der Mental Health Awareness Month mittlerweile vorbei, doch das ist kein Grund, die Interviewreihe zu beenden. Videospiele können begeistern, aufkratzen und in einen Adrenalinrausch versetzen – sie können aber auch beruhigen, emotional berühren und einen Ausgleich zum Alltag schaffen. Games sind genauso vielfältig wie die Menschen, die sie spielen. Und sie können die unterschiedlichsten positiven Einflüsse auf unsere Psyche haben.
Heute sprechen wir mit Julian Laschewski, Spieletester und Autor des Buches „Nur in meinem Kopf: Leben mit einer Depression“. Im Interview teilt Julian seine persönliche Krankheitsgeschichte mit uns, spricht darüber, wie er seine Depression erfolgreich in den Griff bekommen hat und warum auch Videospiele eine wichtige Rolle bei seinem Heilungsprozess gespielt haben.
Hey Julian! Du hast das geschafft, wovon viele Gamer*innen träumen: Du hast mit dem Schreiben von Spiele-Rezensionen Deinen Lebensunterhalt verdient und bist nun als Chief Operation Officer (COO) hauptverantwortlich für das Tagesgeschäft der PietSmiet UG. Als Autor hast Du 2018 das Buch „Nur in meinem Kopf: Leben mit einer Depression“ geschrieben. Warum hast Du beschlossen, Dich als Autor mit dem Thema Depressionen zu beschäftigen?
Alles begann als ich 2014 völlig aus dem Nichts heraus eine Panikattacke erlitt und zum ersten Mal das Ausmaß meines mentalen Zustands zu spüren bekam. In der Zeit begann ich, mich mit dem Thema Depressionen auseinanderzusetzen und nach Literatur dazu zu suchen. Was ich fand waren allerdings eher Bücher, die das Thema aus psychologischer Sicht behandelten und mit vielen Fachbegriffen arbeiteten. Damit habe ich zwar prinzipiell kein Problem, in meiner damaligen Verfassung fehlte mir aber einfach ein Buch mit leichtem Einstieg. Als es mir 2017 schließlich besserging und die Energie zurückkam, wuchs in mir der Wunsch, meine Erfahrungen für jedermann verständlich niederzuschreiben und anderen damit zu helfen – dass ein Verlag daran ernsthaftes Interesse haben könnte, damit hatte ich nicht gerechnet.
Eine erste Version des Buches gab ich an die Künstlerin Sara Burrini („Das Leben ist kein Ponyhof“). Sie mochte das Buch und teilte es mit dem bekannten „Leichen-Doktor“ Dr. Mark Benecke. Der war wiederum so begeistert, dass er den Kontakt zum Eygennutz-Verlag herstellte und schlussendlich sogar das Vorwort des Buches schrieb. Kira Jung, eine befreundete Illustratorin, unterstütze mich schließlich mit verschiedenen Comics und Illustrationen – so kam das Ganze ins Rollen und „Nur in meinem Kopf: Leben mit einer Depression“ entstand.
Wann und wie hast Du gemerkt, dass mit Dir etwas nicht stimmt?
Wie gesagt begann alles 2014 mit einer Panikattacke. Ich erinnre mich noch ganz genau an dieses Gefühl. An einem ganz normalen Abend – ich wollte mir gemeinsam mit meiner Frau einen Animationsfilm ansehen – merkte ich plötzlich, dass etwas nicht stimmt. Mein Herz fing an zu rasen, mein Atem wurde schwer und meine linke Körperhälfte fühlte sich seltsam taub an. Ich hatte vorher nie ernsthafte gesundheitliche Probleme gehabt – dementsprechend war ich im ersten Moment total panisch. Ehrlichgesagt dachte ich zuerst an einen Herzinfarkt – sowas macht einem natürlich extreme Angst. Auch die Nacht konnte ich nicht schlafen, weil ich Sorge hatte, nicht wieder aufzuwachen. Im Anschluss bin ich direkt zum Arzt gegangen und habe nach diversen Gesprächen schlussendlich Gewissheit über meinen Zustand erhalten. An die folgenden zwei Jahre – die Jahre der schweren Depression – habe ich nur sehr verschwommene Erinnerungen. Diese Zeit fühlt sich an, als würde ich durch Milchglas auf einen Fernseher schauen.
Wie bist Du dieses komplexe – oft überwältigende – Problem Depression angegangen? Wo hast Du angefangen, gegen Deine Depression zu kämpfen?
Ich dachte ja zu Beginn noch, es wäre ein körperliches Problem – schließlich hatte ich physische Symptome und deshalb verschiedene Ärzte besucht. Mein Neurologe empfahl mir dann, mit einem Therapeuten zu sprechen. Der erste Verdacht: Depression. Doch ich wollte ihm nicht glauben. So begann eine Odyssee aus unzähligen Besuchen bei weiteren Fachärzten, bis mein neuer Hausarzt mich schließlich direkt an einen Psychotherapeuten vermittelte. Zu diesem ersten Therapeuten hatte ich aber leider keinen guten Draht, weshalb ich entmutigt aufgab und mich ein paar Monate dem erdrückenden Gefühl der Depression ergab – das war eine ziemlich schwere Zeit für mich. Erst im April 2015 fasste ich den Mut, es noch einmal mit einem anderen Therapeuten zu probieren – glücklicherweise fand er einen guten Zugang zu mir und konnte mir helfen. Mit etwas Geduld und mehreren Sitzungen fingen wir schließlich gemeinsam an, den Problemen auf den Grund zu gehen und mein Zustand konnte sich schrittweise bessern.
In Deinem Buch gehst Du oft humorvoll mit Depressionen um und zeigst Lesern Strategien auf, die im Umgang mit der psychischen Erkrankung helfen können. Welche Techniken waren für Dich persönlich am effektivsten?
In meinem Buch beschreibe ich hauptsächlich meine eigenen Erfahrungen. Ich würde mir nicht anmaßen, allgemein gültige Methoden der Psychotherapie zu empfehlen. Was mir in dieser Zeit wirklich geholfen hat war, dass ich nicht alleine war – auch wenn ich mich so gefühlt habe. Meine Familie und Frau haben mich so stark in meinem Alltagsleben unterstützt, mir unter die Arme gegriffen und halfen mir so wieder in eine Struktur zu finden. Sie waren auch der Grund, warum ich wieder Kraft fand, einen weiteren Therapie-Versuch zu wagen. Ich wollte einfach nicht mehr ohne Freude, ohne Antrieb, ohne Ziel in den Tag hineinleben. Wer mir auch sehr half, war meine Husky Hündin. Sie gab mir das Gefühl aktiv gebraucht zu werden, denn ich musste mich um sie kümmern, sie füttern und mit ihr Gassi gehen. Beim Gassi gehen lernte ich außerdem, meine Umwelt ganz bewusst wahrzunehmen und auf meine Umgebungsgeräusche zu achten. Das hat mich sehr geerdet. Und ich startete mit Meditation – nicht so klassisch, wie man sich das vorstellt – ich habe mich einfach zehn Minuten in einen abgedunkelten Raum begeben und mir Kopfhörer mit Noise Canceling auf die Ohren gelegt. In dieser Ruhe habe ich dann bewusst trainiert, nicht zu denken. Mit etwas Übung schafft man es dann, aus dem negativen Strudel von Ängsten und Sorgen auszubrechen und seinem Geist eine Verschnaufpause zu gönnen.
Würdest Du sagen, dass Videospiele einen positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit haben können? Konnten sie Dir im Umgang mit der Krankheit helfen?
Videospiele waren schon immer ein großer Teil meines Lebens. Mein Vater war Programmierer und so hatten wir immer einen PC im Haus – später auch die ersten Konsolen. Zu Beginn der Depression fiel ich aber erst einmal in ein tiefes Loch. Selbst Spiele bereiteten mir keine Freude und ich hatte wahnsinnig große Angst, dass das auch so bleiben würde. Tatsächlich aber kam die Passion zurück und Spiele haben mir im späteren Verlauf meiner Krankheit geholfen. Als ich wieder die Energie hatte zu zocken, bin ich in Spiele wie Dragon Age: Inquisition und The Witcher 3 geradezu eingetaucht. Es klingt vielleicht widersprüchlich, aber Eskapismus kann gerade in schweren Depressionen auch eine Hilfe sein. Ich konnte eine Pause von meinen negativen Gedanken nehmen und zudem noch das Gefühl bekommen, produktiv an etwas zu arbeiten – auch wenn es nur das Erkunden einer fiktiven Welt oder der Aufbau einer Festung war. Die Spielewelten gaben mir den dringend benötigten Abstand zu meinen psychischen Problemen. Mittlerweile habe ich eine sehr gute Balance aus Gaming und meinem Alltag gefunden.
Was glaubst Du, worin der Vorteil von Spielen liegt, die psychische Probleme und Depressionen thematisieren? (Sea of Solitude, Senuas Sacrifice etc.)
Ich glaube auf jeden Fall, dass solche Spiele einen riesigen Vorteil haben. Als ich Senuas Sacrifice das erste Mal gespielt habe, begriff ich erst gar nicht, warum sie Stimmen hörte. Als ich aber verstand, dass sie unter Psychosen litt, wollte ich ihr umso mehr helfen. Wenn eine Figur in einem fantastischen Spiel ein so reales Problem hat, entsteht für mich gleich eine viel stärkere emotionale Verbundenheit. Auch in Sea of Solitude habe ich Passagen erlebt, die mich sehr an das Mobbing in meiner Schulzeit erinnert haben. Ich glaube, viele Menschen können sich in diesen Themen selbst wiederfinden. Einerseits erlebt man Spiele so viel intensiver, andererseits sorgen solche Games vielleicht dafür, dass wir uns durch eine Hintertür mit uns selbst und unseren Problemen beschäftigen.
Hat sich Deine Einstellung zu Gaming oder generell Dein Spielverhalten seit der Auseinandersetzung mit Depressionen verändert? Wo siehst Du die größten Unterschiede von früher zu jetzt?
Ich glaube, ich verstehe durch die Depression und mein Buch besser, in welche Dinge ich Zeit investieren muss, um das zu erreichen, was ich möchte. Deshalb beobachte und strukturiere ich mein Verhalten bewusster. Früher habe ich Spiele immer wieder sehr intensiv gespielt und meine eigentlichen Ziele etwas aus den Augen verloren. Dann habe ich mich ohne nachzudenken in ein MMO gestürzt und die Relation aus den Augen verloren. Mittlerweile habe ich gelernt eine bewusste Balance zwischen Gaming und Alltagspflichten zu finden. Ich spiele immer noch wahnsinnig gerne, aber das Schreiben und meine alltäglichen To Dos kommen an erster Stelle. Ich nehme mir jetzt ganz bewusst Zeit für meine Gaming-Sessions. Erst wenn ich beispielsweise meine 2000 Zeichen am Tag geschrieben habe, setze ich mich abends hin und zocke für zwei bis drei Stunden – ganz ohne schlechtes Gewissen, denn ich habe meine Pflichten ja bereits erledigt.
Wie wirkt sich Gaming heutzutage auf Dich persönlich aus? Gibt es bestimmte Spiele, die Du besonders gerne spielst, um mit schlechten Tagen umzugehen?
Gerade aktuell nutze ich Gaming vor allem, um mit meinen Freund*innen in Kontakt zu bleiben. Die meisten meiner Bekannten leben mittlerweile in alle Himmelsrichtungen verstreut und wir sehen uns nur noch selten – gerade in den Zeiten der Pandemie. Aktuell spielen wir besonders gerne Apex Legends zusammen. Da wird dann zwar auch mal geflucht und geschimpft, aber nebenbei quatschen wir auch einfach über das alltägliche Leben. So haben wir zusammen Spaß und wissen gleichzeitig, was so im Leben der anderen los ist – das genieße ich sehr. Ansonsten merke ich, dass ich Nostalgiker werde. Ich spiele aktuell besonders gerne Games, die ich mit meiner Kindheit verbinde. Ganz vorne mit dabei sind dann zum Beispiel Nintendo-Games oder auch der ewige Klassiker Monkey Island. Das fühlt sich dann direkt an, als wäre ich wieder klein und würde am DOS-Rechner meines Vaters sitzen. Als großer Bioware-Fan spiele ich außerdem gerade die Mass Effect: Legendary Edition. Es ist großartig die Geschichte von Shepard noch einmal so zusammenhängend zu erleben und zu sehen, wo die Entwickler*innen nachgebessert und auf die Community gehört haben.
Gibt es Tipps oder Ratschläge, die Du Gamer*innen oder generell Menschen mit Depressionen gerne mit auf den Weg geben möchtest? Vielleicht etwas, das Du gerne vor Deiner Auseinandersetzung mit dem Thema gewusst hättest?
Ich glaube das das Allerwichtigste ist: Ihr seid mit Euren dunklen Gedanken nicht allein! Keiner von Euch! Ich bekomme immer wieder Nachrichten, dass sich Leser*innen in meinen niedergeschriebenen Erfahrungen wiedererkennen – sei es via E-Mail, Twitter oder in Gesprächen von Angesicht zu Angesicht. Es haben viel mehr Menschen psychische Probleme, als wir im ersten Moment vielleicht denken. Und es ist so wichtig, dass wir mit jemandem über unsere Probleme und Gefühle sprechen. Das muss im ersten Schritt nicht unbedingt ein Therapeut sein, Rückhalt kann auch aus der Familie oder dem Freundeskreis kommen. Auch wenn ihr anonym bleiben wollt, gibt es tolle Möglichkeiten. Zum Beispiel eine Person aus einer Seelsorge-Hotline oder Reddit-Foren, in denen es einzig und allein darum geht, die Probleme mit Fremden zu besprechen. Ich glaube das kann ein toller erster Schritt sein, wenn ihr noch unsicher seid, wie und ob ihr reden wollt. Aber es ist wichtig, dass Ihr den ersten Schritt macht und Eure Probleme nicht in Euch hineinschweigt – nur so kann es besser werden.
Wir danken Julian für die Zeit und den faszinierenden Einblick in sein Leben. Weitere Informationen, noch mehr Interviews und die aktuellsten News aus dem Xbox-Kosmos findest Du schon bald hier auf Xbox Wire DACH.
Falls Du von psychischen Problemen betroffen bist, bietet die Stiftung Deutsche Depressionshilfe eine Vielzahl von Tipps, Informationsmöglichkeiten und Anlaufstellen, bei denen Du Hilfe bekommst:
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